Abseits – das brachte die beiden auch auf den Titel ihrer Stadtführung „Würzburg offside“. Gemeinsam mit dem Förderverein Wärmestube e.V. luden sie eine Schulklasse des Würzburger Deutschhaus-Gymnasiums zu einer alternativen Führung durch Würzburg ein. Eine Führung, bei der nicht Festung, Dom und Residenz im Mittelpunkt standen, sondern die Wärmestube, die Elisabethstube, das underground und die Kurzzeitübernachtung. Diese Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe sind wichtige Anlaufstellen für Menschen ohne Dach über dem Kopf, von denen es allein in Würzburg fast 800 gibt.
„Wir wollten an die Schülerinnen und Schüler ein Thema herantragen, das uns täglich begegnet – beim Einkaufen in der Stadt oder auf dem Schulweg. Wohnungslose Menschen sind Teil unserer Alltagserfahrung, doch meist schauen wir weg und setzen uns nicht damit auseinander“, sagte Projektkoordinatorin Katharina Samfaß. „Der Stadtrundgang ist eine gute Gelegenheit, sich einmal Fragen zu stellen, wie: Warum verlieren Menschen ihre Wohnung, wo finden sie Hilfe, was kann ich persönlich tun und welche gesellschaftlichen Veränderungen wären hilfreich?“ Beantwortet wurden diese Fragen von den fachkundigen „Stadtführern“ Bernhard Christof, zweiter Vorsitzender des Fördervereins Wärmestube, und Bruder Tobias Matheis von der Straßenambulanz.
Für eine ganz besondere Erfahrung sorgte die Begegnung mit Berti, der bereits seit elf Jahren auf der Straße lebt und den Neuntklässlern offen und ehrlich aus seinem Alltag berichtete. „Wenn man obdachlos wird, fühlt man sich so, als ob man von einem hohen Turm in ein tiefes schwarzes Loch fällt“, erklärte er ihnen. Die Jugendlichen nutzten die Gelegenheit, ungeniert Fragen stellen zu können, wollten beispielsweise wissen, in welchen Städten er bereits gelebt hat, ob es etwas gibt, das er immer bei sich trägt und welche Medien er nutzt. „Ich hatte so viele Fragen, weil ich nie zuvor die Gelegenheit hatte, sie einem betroffenen Menschen zu stellen“, sagte eine Schülerin nach der Begegnung mit Berti.
Die vielen neuen Eindrücke und Erfahrungen hinterließen nicht nur Spuren bei der neunten Klasse des Deutschhaus-Gymnasiums, sondern weckten auch das Interesse, aktiv zu werden. So kam es bereits wenige Wochen später zu einem zweiten gemeinsamen Projekt. Kurz vor dem Weihnachtsfest packte die Klasse mit Katharina Samfaß, Esther Schießer und Bernhard Christof mehr als 80 Päckchen für die Besucherinnen und Besucher der Würzburger Wärmestube. Denn – das wurde den Schülern nicht erst durch die Stadtführung klar – nicht für jeden bestehen die Weihnachtsfeiertage aus Christbaum, Festessen und Familie. Und nicht jeder packt an diesem Tag Geschenke aus.
Stundenlang waren die Neuntklässler mit Schere, Klebstoff und Geschenkpapier zugange, um aus schlichten Schuhkartons hübsch verzierte Geschenkschachteln zu basteln. Anschließend füllten sie die bunten Kartons mit Süßigkeiten, Kerzen, Weihnachtsgebäck, Obst, Drogerieartikeln, Essensgutscheinen und selbst gestrickten Mützen und Socken. Zahlreiche Würzburger Läden und Firmen sowie Caritas-Mitarbeiter hatten die Aktion mit Spenden unterstützt. Neben einer Schleife, erhielten die Pakete anschließend noch eine selbst gebastelte Weihnachtskarte mit persönlichen Zeilen. „Damit derjenige weiß, dass man an ihn gedacht hat“, erklärten die Schülerinnen und Schüler. An Heiligabend wurden die Päckchen bei einer gemeinsamen Feier in der Wärmestube verteilt und haben für so manches fröhliche Gesicht gesorgt. Allein dafür hat sich die Mühe der Deutschhaus-Weihnachtswichtel schon gelohnt.
Für Katharina Samfaß und Esther Schießer war das große Interesse der Schulklasse ein Anreiz dafür, noch mehr jungen Menschen die Möglichkeit zu geben, eine Lebenswelt zu erkunden, die sich am Rande der Gesellschaft abspielt. Auch im neuen Jahr wollen sie daher mit Aktionen dazu beizutragen, dass das Thema „Wohnungslosigkeit“ in der Öffentlichkeit wieder präsenter wird. „Als youngcaritas geht es uns ja genau darum: Zeichen zu setzen und auf Probleme und Herausforderungen aufmerksam zu machen“, betonte Esther Schießer.
Mehr Informationen sowie die nächsten Termine für den alternativen Stadtrundgang gibt es unter www.youngcaritas-unterfranken.de.
Julia Eyrisch, Caritas